Morgenpirsch, die Ernte ist seit gestern Abend in vollem Gange, Jagdführer Jurek und ich sind mit dem Geländewagen unterwegs in einen bewaldeten Revierteil, dort hoffen wir, ungestörter jagen zu können. Ein Traktor mit Anhänger kommt uns entgegen, wir müssen Platz machen. Rechts von uns liegt ein bereits in Teilen gedroschenes Weizenfeld, auf einmal sehen wir links vor uns, am Rand des Feldes, in etwa 200 m Entfernung ein Stück Rehwild, das in unsere Richtung äugt. Glas hoch, Ricke, doch dahinter, im Getreide noch ein Stück Rehwild. Verdeckt durch das hohe Getreide können wir dieses Stück nicht ansprechen. Der Traktor quält sich mit seinen schwer beladenen Anhängern an uns vorbei, das Gespann schaukelt bedenklich auf dem ausgefahrenen Weg. Wir nutzen die Gelegenheit, um auszusteigen. Die Ricke zieht auf das freie Feld, das Stück, das wir nicht ansprechen konnten, folgt, es ist ein Kitz. Sollten die beiden alleine sein?
Da ein drittes Stück, ein Bock, ein kurzer Blick zu Jurek, ein Nicken, ja diesen Bock sollten wir uns näher ansehen.
Der Ricke ist das Treiben auf dem Feldweg nicht geheuer, sie zieht nach links mit ihrem Kitz zurück in das hohe Getreide. Wird der Bock folgen?
Nein, er scheint das Interesse an dieser Ricke verloren zu haben und bewegt sich weg von den beiden, genau in die andere Richtung auf dem halbgedroschenen Feld, parallel zu uns. Wir haben Gelegenheit, den Bock genauer anzusprechen, unser erster Eindruck, einen starken, reifen Bock vorzuhaben, wird jetzt zur Gewissheit.
Da der Bock auf unser Blatten nicht reagiert, entschließen wir uns, diesen Bock anzugehen. Der Bock ist wie wir durch Streifen von Getreide, das noch nicht geerntet wurde, teilweise gedeckt und zieht weiter parallel zu uns, in etwa 300 m Entfernung. Das Feld ist etwa 500 m breit, danach schließt ein bereits abgeerntetes Stück, ebenfalls 500 m breit an, dort sind Rundballen, die eine weitere Annäherung erlauben.
Das heißt, wir müssen versuchen, den Bock dort abzupassen. Der Wind passt, die Ricke ist von der Bildfläche verschwunden, weiteres Rehwild können wir nicht ausmachen. Also machen wir uns auf den Weg. Jurek geht vorweg, wir haben dabei immer den Bock, der weiterhin gemächlich Richtung freies Feld zieht, im Blick. Gedeckt durch die Getreidestreifen, gelingt es uns, den Bock zu überholen. Jetzt kommt der schwierigste Teil, wir müssen über das freie Feld, um den Bock auf Schussentfernung abpassen zu können.
Jurek schafft es, hinter den ersten Rundballen zu kommen, ich folge ihm auf sein Handzeichen. Wir arbeiten uns so von Rundballen zu Rundballen weiter, längst verdrängte Erinnerungen an meine Rekrutenzeiten werden wieder wach, der Schweiß fließt in Strömen, der Atem geht stoßweise, es fehlt nur noch der „Sprung auf Marsch, Marsch“ oder „Stellung“ brüllende Unteroffizier. Diesen Part übernimmt Jurek, der mich weiterhin per Handzeichen dirigiert. Endlich, der letzte Rundballen ist erreicht, der Puls rast, der Bock plätzt am Feldrand, ist aber durch das Getreide so verdeckt, dass ein sicherer Schuss nicht möglich ist. Eigentlich sollte sich der Puls wieder beruhigt haben, aber jetzt macht sich das Jagdfieber bemerkbar, zum Glück sind wir durch den fast mannshohen Rundballen gedeckt und ich habe eine gute Gewehrauflage. Jetzt, er zieht aus dem hohen Getreide, verhofft und steht frei, das Absehen steht auf dem Blatt, der Schuss bricht und der Bock liegt im Knall. Am Anschuss liegt ein alter und starker Bock, mit einem Trophäengewicht von 334 g netto. Ein wirklich gelungener Auftakt. Insgesamt konnten wir im Forstamt Karczma Borowa mit zwei Jägern innerhalb von drei Tagen 16 Böcke erlegen. Der hervorragende Wildbestand und die professionelle Jagdführung machten dieses bemerkenswerte Streckenergebnis möglich. Zu erwähnen ist, dass dabei sehr wohl selektiv gejagt wurde, der stärkste Bock wog immerhin stolze 471 g netto.
Gejagt wurde in einer Kombination von Ansitz und Pirsch, wobei die meisten Böcke auf der Pirsch über den Schießstock erlegt wurden.
Zum Teil sprangen die Böcke auf das Blatten, in einigen Fällen standen sogar mehrere Böcke zu.
Sowohl Morgen- als auch Abendpirsch waren immer erfolgreich, kein Jäger kam als Schneider nach Hause.
Dieses Revier ist Jägern zu empfehlen, die Wert auf eine anspruchsvolle und fordernde Jagd in einem abwechslungsreichen Revier mit starken Rehböcken legen.
Die Unterkunft erfolgt in einer der Revierförstereien, die mitten im Jagdgebiet gelegen ist.
HH im August 2010